„ Taaaaaalllllyyyy!“ rief die Bardin mit lauter Stimme in die undurchsichtige Nebelwand hinein, aber es kam weder eine Antwort, noch irgendeine Art von Widerhall oder Echo zurück. Ásdis fluchte leise und verstärkte den Griff, mit dem sie sich an dem ledernen Gepäckzeug festhielt. Der Nebel war dermaßen dicht, dass sie ihren Begleiter Abhcan, der nur einen Schritt neben ihr ging, nur ganz schemenhaft erahnen konnte.
So hatte sie ihre Reise durch die „Schleier“ ein Raum zwischen den Welten, der Welt der Menschen und der entrückten Anderswelt der Tuatha, nun wirklich nicht vorgestellt!
Sie, Abhcan und ein weiterer Freund, Tally, ein Angehöriger des alten Volkes, auch Tuatha genannt, hatten nach dem ersten Angriff der schwarzen Wesen auf einer Wiese beim Dorf Norod, entschlossen von der Insel zu verschwinden. Da Tally nur schwer durch die Kontrollen in Octron gekommen wäre, hatte dieser vorgeschlagen einen anderen Weg zu nehmen.
In Legenden und Sagen hatte sie schon öfter von den verschlungenen Pfaden zwischen den Welten gehört. Meistens weil jemand zufällig hineingeriet, darin herumirrte und zufällig, oder aber durch Hilfe wieder hinaus fand. Oftmals kam dieser dann an einem anderen Ort und gelegentlich auch zu einer anderen Zeit heraus.
In ihrem Fall sollte dies aber nicht zufällig sondern ganz geplant passieren. Tally meinte, dass er sie in diese Zwischenwelt hinein und am richtigen Ort auch wieder hinaus führen könne. Sie hatten ihre Sachen zusammengepackt, wobei Abhcan das Meiste des Gepäcks von Ásdis mit trug und waren vom Dorf weg in den Wald hinein marschiert. Wann genau sie die Grenze zur anderen Welt überschritten hatten, oder wie das passierte, konnte sie nicht sagen. Auf jeden Fall war plötzlich und sehr schnell, ein immer dichter werdender Nebel aufgezogen, der schließlich so dicht wurde, dass die Sicht quasi auf Null gesunken war. Gleichzeitig hatte der Untergrund unter ihren Füßen sich spürbar verändert, unter ihren Stiefeln war ebenso plötzlich nicht mehr der weiche und federnde Waldboden gewesen. Sie konnte nicht einmal sagen, aus was der Boden bestand, sie konnte wegen dem Nebel nichts davon sehen und irgendetwas definiertes war auch nicht zu spüren. Er war weder weich, noch hart, oder federnd, oder irgendetwas, er war ebenso so undefiniert und formlos, wie das weißgrau der Nebelwand überall um sie herum.
Und noch etwas hatte sich herausgestellt, der Nebel schluckte jegliche Geräusche. Hatte sie noch kurze Zeit Schritte oder andere Geräusche von Tally gehört, so waren diese schnell verstummt und bald darauf hatte er auch nicht mehr auf ihr Rufen reagiert oder geantwortet. Glücklicherweise hatte sie da schon ihre Hand auf ihren Sachen auf Abhcans Rücken gehabt, vielleicht hätte sie ihn sonst auch schon längst verloren und würde jetzt ganz alleine durch den Nebel stapfen.
„ Keine Angst Abhcan, wir sind in der richtigen Richtung unterwegs! Ich kann sie spüren, unsere Welt. Vor uns und sie kommt näher!“ redete sie in beruhigendem Ton während sie Schritt um Schritt vorwärts ging. Sie erwartete keine Antwort von ihrem Begleiter, schließlich neigten Maultiere in der Regel nicht sehr dazu auf solche Beruhigungsversuche viel zu antworten. In diesem Fall war Abhcan nicht viel Anders als Andere seiner Gattung, zudem wusste er bestimmt, dass es genauso dazu diente sich selbst zu beruhigen und zu viele Worte, oder in seinem Fall Laute, wären dem Zweck nicht unbedingt sehr dienlich gewesen.
Trotzdem waren ihre Worte nicht leer gewesen, sie war sich - ziemlich – sicher, dass sie in der richtigen Richtung unterwegs waren. Sie war Bardin und zudem keine Schlechte, nach ihrem Glauben und Verständnis bestand alles in gewisser Weise aus Musik. Was bedeutete, dass Alles und Jeder seine ganz eigene spezifische Melodie und Rhythmus besaß. Und als ein Kind ihrer Welt, war ihre eigene innere Musik natürlich auf die ihrer Welt abgestimmt, war gewissermaßen in perfektem Einklang damit. In den Jahren ihrer Ausbildung hatte sie gelernt darauf zu achten und auch ihre eigene Verbindungen, Harmonien und Resonanzen zu erkennen. Und das war jetzt das was sie spürte, die Verbindung zu der Musik ihrer Welt und sie hielt genau auf die Quelle zu.
„Sieh! Ich hab dir doch gesagt, dass wir richtig sind! Es ist jetzt ganz nah, direkt vor uns.“ ihre Stimme klang triumphierend aber auch erleichtert, als der Boden unter ihren Füßen zu verändern begann und der Nebel sich ganz langsam lichtete. Aber der Boden unter ihren Füßen wurde zu etwas Anderem als vorher. Es war nicht weich und federnd wie Waldboden, stattdessen wurde er hart und unnachgiebig, auch der Klang ihrer Stiefel war der von bloßem, gewachsenen Felsen. Jetzt konnte sie auch den Klang der beschlagenen Hufe von Abhcan auf dem Fels hören.