Re: Zwischen Tod und Leben
von Josy » Di 13. Sep 2022, 12:00
Der Kleine nahm meine Antwort still hin und bedankte sich nur, woraufhin mein Lächeln eine Spur breiter wurde. Ich ließ ihn in Ruhe und sah ihm hinterher, wie er ins Schlafzimmer verschwand. Ich folgte ihm nicht.
Stattdessen trat ich noch einmal nach draußen, blieb aber direkt vor der Tür stehen und lehnte diese nur leicht an. Mein Blick schweifte über die Umgebung, als würde ich nach Etwas Ausschau halten, aber es blieb alles ruhig. Die blasse, nebelige Umgebung schien verlassen.
Ich lehnte mich neben der Tür an die Hauswand, schloss die Augen und verbrachte die nächste zeitlose Weile damit, die Umgebung zu erkunden, auf eine andere Art. Meine farblose Gestalt flackerte mehrmals, wurde durchsichtiger, aber sie verblasste nicht ganz. Ich hatte dem Kleinen gesagt, ich würde in der Nähe bleiben, und das tat ich auch. Aber gleichzeitig musste ich mich umsehen und sicher gehen, dass er keinen Weg hier hinein fand.
Und ich musste einen Weg finden, wieder zu Kräften zu kommen. Denn ich war bei weitem nicht auf der Höhe, auch wenn man das äußerlich nicht merkte. An einem Ort wie diesem allerdings könnte es mehr als genug Wesen geben, die so etwas sehr wohl bemerken könnten.
Deswegen suchte ich auch nach etwas Lebendigem, was gar nicht so einfach war.
Irgendwann trat ich wieder zurück ins Haus und wandte mich zur linken Seite des winzigen Flurs, wo ich in den Wohn- und Essbereich trat. Etwas hatte sich hier verändert: das Geschirr und das Essen, das wir auf dem Tisch hatten stehen lassen, war weggeräumt worden, alles war aufgeräumt und sauber.
Ich sah mich einige Augenblicke lang um und schien zu lauschen, dann trat ich ganz in den Raum hinein und begann, Schranktüren und Schubladen zu öffnen und hineinzusehen. Ich fing im Wohnzimmerbereich an, ließ die Finger über die Gegenstände in den Regalen gleiten, öffnete die Schubladen und wühlte langsam durch deren Inhalt. Ich zog ein Buch aus dem Regal und blätterte durch die Seiten. Sie waren alle leer, keine Schrift irgendwo, auch nicht auf dem Einband. Bei dem zweiten Buch war es genauso. Bei den Büchern im Schlafzimmer würde es genauso sein. Gut.
Ich stellte alles wieder zurück und widmete mich den Schränken in der Kochecke, die ich ebenfalls durchsuchte, etwas intensiver als vor einer Weile, als ich dem Kleinen etwas zu Essen gesucht hatte. Ich fand noch ein Buch, das wohl Rezepte beinhalten sollte, aber auch das war leer. Ansonsten gab es Essen zur Genüge.
Als ich zufrieden war, betrat ich das gefährlichste Zimmer: das Badezimmer. Langsam trat ich hinein, ließ den Blick über die Dusche in der hinteren rechten Ecke schweifen, bis mein Blick schließlich am Spiegel über dem Waschbecken an der linken Wand hängen blieb. Er sah nicht aus wie ein Spiegel, denn er war schwarz und matt. Nichts regte sich im Badezimmer, alles war ruhig.
Nach ein paar Momenten kam ich langsam näher und legte vorsichtig eine Hand auf die schwarze Spiegeloberfläche. Alles ruhig.
Zufrieden widmete ich mich auch hier den Schubladen des Schränkchens, und nachdem ich alles durchsucht hatte, verließ ich das Bad wieder und schloss sorgfältig die Tür.
Das Schlafzimmer würde ich mir später ansehen, jetzt wollte ich den Jungen nicht stören. Vorerst ging ich wieder zurück ins Wohnzimmer und ließ mich aufs Sofa sinken. Viel mehr gab es im Augenblick für mich nicht zu tun. Außer die Umgebung im Auge zu behalten, was ich auch tat.
Deswegen spürte ich auch irgendwann die Unruhe, die von der kleinen Seele im Nebenraum ausging. Wie die zitternden Wellen, die ein Stein im Wasser schlug; oder das Zittern, das eine Fliege im Netz einer Spinne machte. Ein Zeichen, ein Signal.
Ich blieb wo ich war, nur mein Blick richtete sich auf den Durchgang, wo die Tür zum Schlafzimmer lag.