Re: Zwischen Tod und Leben
von Josy » So 27. Sep 2020, 19:26
Und es würde wieder anders werden.
Während ich die Dunkelheit fernhielt, brachte der Lebenswille der Seele uns von hier fort. Er war die Triebkraft - ich lenkte nur ein wenig.
Als ich die Bruchstücke der zerstörten Seele aufgesammelt hatte, war es noch nichts gewesen. Ich war nicht einmal sicher gewesen, ob das hier klappen könnte. Ob ich genug gesammelt hatte. Aber als die kleine Seele wieder eine Form bekommen hatte, als sie wieder begann, sich selbst und ihre Umgebung wahrzunehmen, zu merken dass sie ein Lebewesen war - oder zumindest mal gewesen war - und vor allem, zu beweisen, dass sie noch immer ein Jemand war... ein Jemand, der Dinge wollte und nicht wollte, der fühlen, denken und verstehen konnte... als das alles geschehen war, war ich sicher, dass wir weitergehen konnten. Selbst wenn es nicht für die Wirklichkeit reichen sollte, selbst wenn die Seele nie wieder dahin zurückkehren könnte... gab es doch Orte, an denen eine solche Seele verbleiben konnte. Vielleicht kein wirkliches Leben, aber etwas ähnliches.
Und zu einem solchen Ort waren wir nun unterwegs.
Es war die Seele selbst, die uns in Richtung des Lebens zurück zog, aus der unendlichen Tiefe und Düsternis des Nichts, in das ich uns gebracht hatte. Und je näher wir der Wirklichkeit kamen, umso schwerer konnte Es uns folgen. Für so etwas war es nicht gemacht. Vielleicht wurden wir es nicht ganz los, aber... es würde dort jedenfalls sehr viel schwerer für die Dunkelheit werden, uns zu verschlingen.
Wie eine heiße, leuchtende Sternschnuppe durchs tote, kalte Weltall bewegten wir uns. Doch im Gegensatz zu einer Sternschnuppe lenkte ich relativ genau auf eine Welt zu - eine Welt, in der eine Seele wachsen, heilen und irgendwann vielleicht wieder leben konnte.
Diese Welt war fast wie die Wirklichkeit. Sie war ihr sogar sehr nah. Ähnlich aufgebaut. Nur ein Schleier trennte uns von den Lebewesen. Es war ein guter Ort, um neu anzufangen.
Es gab hier ein einfaches Haus. Nicht groß, aber gemütlich. Friedlich. Alt, aus Stein gebaut und mit einem dichten Strohdach, aus dem ein Schornstein herausragte.
Das Schlafzimmer sah aus wie man es sich vorstellte in einem solchen Haus. Die Möbel - der große, klobige Schrank, die Kommode, das große Bett, selbst die Bilder an den Wänden und Bücher auf den Regalen - sahen vielleicht etwas altmodisch aus, vielleicht so wie man es bei einer alten Dame erwarten würde, aber es war ordentlich und erfüllte seinen Zweck.
Ich saß in einem weidengeflochtenen Schaukelstuhl neben dem Bett, die seitlich angewinkelten Beine zu mir hochgezogen. Mein knielanges, helles Kleid passte eigentlich ganz gut in dieses etwas altmodische Bild. Eigentlich sah ich sogar vergleichsweise ordentlich aus, doch ich war grau und farblos - im Gegensatz zu meiner Umgebung, die zumindest so etwas wie blasse, schwache Farben zu haben schien.
Mein Blick war auf das Bett gerichtet, in dem der Junge lag. Geduldig wartete ich, als hätte ich nie etwas anderes getan.
Zuletzt geändert von Josy am Fr 18. Dez 2020, 19:46, insgesamt 1-mal geändert.